In mitten einer Stadt auf einem großen Platz neben einer Kirche wurde ein Würfel mit einer Grundfläche von ca. 100 qm installiert. Ein gut inszenierter Pavillon. An der langen Schlange vor dem Eingang war zu erkennen, dass großes Interesse bestand hinein zu gelangen. Die Werbetrommel wurde kräftig gerührt, wie die Plakate bewiesen. Darauf waren verschiedene authentisch wirkende Augenzeugen abgebildet, die folgendes aussagten:
Unglaublich.
Das mir so etwas passiert, hätte ich nie gedacht! Wahnsinn.
Also diese Erfahrung sollte jeder einmal in seinem Leben gemacht haben.
Es ging um ein Spiel, bei dem man 10.000€ gewinnen konnte. Im Inneren befand man sich zunächst in einer Mini-Lobby, um die letzten Einzelheiten zu klären. Ja, das Geld war echt und der Gewinn ernst gemeint. Mitgebrachte Freunde durften zwar beiwohnen und alles beobachten, doch dies in einem Besichtigungsraum mit schalldichter, einseitig durchsichtiger Scheibe.
Die Teilnahmebedingungen schnell erklärt: Es handelte sich um ein Geschicklichkeitsspiel mit riesigen Bildschirmen. Gewinner ist derjenige, der einen bestimmten Highscore knacken kann. Zu bedienen ist das Spiel ausschließlich mit einem dafür bereitgestellten Gamepad, an dem auch ein Joystick montiert war. Bei dem Spiel sollten Ziele getroffen werden, während die Schussbedingungen immer schwerer werden. Zum einen waren die Ziele auf den Bildschirmen beweglich, von virtuellen Hindernissen geschützt, zum anderen wird die Steuerung im Verlauf des Spiels schwerfälliger.
Zu den Details der reinen Spielaufgabe wurde erklärt, dass der Sinn der Gewinnspiels ein Test zur User-Experience sei. Untersucht werde Verschiedenes von Verschleiß am Gerät bis hin zum Verhalten der Benutzer unter dem Stress beim Spielen. Das Spiel selbst verlangte bereits hohe Konzentration und eine gute Hand-Augen-Koordination, doch nun kam eine weitere Hürde ins Spiel. Sogenannte Ordner nahmen sich immer eine kleine Gruppe von gleichzeitig Spielenden vor. Dazu wurden die Teilnehmer instruiert, dass die Ordner die Spieler in einer gleichbleibend choreographierten Art während des Spieles die Spieler umsetzen und hindern würden. Leichtes Rempeln sei dabei nicht auszuschließen und ein Glücksfaktor. Die gewöhnliche Umsetzung erfolgt im Einverständnis mit den Spielern durch Handberührungen an Schultern, Hüfte, Rücken und Bauch.
Spielername eingetragen, schnell noch die Teilnahmebedingungen unterschrieben und los geht’s!
Das Spiel begann und die Konzentration wuchs. Die Ordner begannen mit einer langsamen Rotation die Position der Spieler neu zu ordnen, bis sie nach bereits ca. 4 Minuten die Spieler mit chaotischeren Figuren ganz schön ins Schwitzen brachten. Mittlerweile fluchten die Spieler über ihre vergurkten Schüsse. Rempeln häufte sich. Die Spieler versuchten aber stets ihren zugewiesenen Zielbereich im Blick zu behalten. Die Blicke starrten alle in eine Richtung, während durch einen Lautsprecher vermeintlich motivierende Ansagen schallten:
Bleiben Sie konzentriert!
Warten Sie nicht zu lange!
Das war leider daneben!
Und noch eine Stufe schneller!
Super Schuss!
Das sieht gut aus!
Fast! Sie sind ganz knapp davor den Jackpot mit nach Hause zu nehmen!
Die Ansagen kamen ausgerechnet von dem einem sehr unsympathisch empfundenen Mann in der Lobby, der mit seinen Angestellten eher grummelig umging, mürrisch dreinschaute und mit den Teilnehmern so gut wie keine Interaktion hatte.
Es kam wie es kommen musste. Das unschaffbar schwere Spiel sorgte dafür, dass die Spieler reihenweise ausfielen und von Ordnern schnell zum Trostpreisfeld geführt wurden.
Die Spieler bekamen eine Tüte in die Hand gedrückt und wurden gleich weiter gebeten zum Besucherraum zu gehen. Dort bekamen sie großes Gelächter Ihrer Beobachter und den Hinweis, die Tüte aufzumachen und den Trostpreis anzusehen. Dafür standen bereits Tresen bereit, wo ein Interviewer wartete, um die Eindrücke der Spieler zu erfragen.
Natürlich gaben die Spieler hier etwas ehrlichere Kommentare ab, aber bleiben ganz im Tenor der plakatierten Augenzeugen.
Wie bitte?!
Was ist das denn?
Der Hammer!
Ich glaub’s nicht!
Das hätte ich nie gedacht, dass …!
In den Tüten befanden sich für:
Alles klar?!
Über dem Ausgang hing ein Banner, mit dem Text auf dem Papp-Zettel:
Während die Menschen versuchen ihr Geld zu verdienen, um Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, aber um Menschen zu beeindrucken, die sie nicht mögen, und zu beschäftigt sind, um das System zu hinterfragen, bemerken sie den Raub nicht, der an Ihnen begangen wurde.
Posted on 19. Mai 2017 by Michael
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